Julie Hayward
JULIE
HAYWARD
Subliminal
Einladung zur Ausstellungseröffnung
am Dienstag, den 03.06.2014, 19-22 Uhr
Ausstellungsdauer bis
05.07.2014
Öffnungszeiten: Di-Fr 14-19 Uhr
, Sa 11–15 Uhr
Einführung: Dr. Thomas Mießgang
projektraum viktor bucher
a-1020 wien, praterstrasse
13/1/2
t/f+43 (0)1 212 693 0
projektraum@sil.at
www.projektraum.at
Let`s dance! Put on your red shoes und tanz den Blues. Lasset uns
schwingen, sway through the crowd to an empty space.
Aber können sie überhaupt tanzen, diese schwarzen geriffelten Entitäten,
die aussehen wie in die Vertikale gezerrte Ölpfützen und die mit einer eisernen
Klammer aneinander gefesselt sind?
Siamesischer Cakewalk? English Waltz hinter schwedischen Gardinen? Rock
und Roll in morganatischer Ehe zusammengeschweisst? Polyester und Stahl,
scheinbar schwer und massiv und doch durch eine leichte Armbewegung problemlos
zu verrücken?
Julie Haywards biomorphe Skulpturen werden durch die Titelgebung häufig
in eine bestimmte gedankliche Richtung navigiert, die sich dann aber als
dunkler, unbeleuchteter Nonplace am Ende der Strasse herausstellen kann. Nichts
ist eindeutig an diesen Arbeiten, die mit der Dialektik von Mimesis und
Differenz spielen. Die manchmal wie alptraumhafte Projektionen aus dem
Unbewußten wirken und dann wiederum wie ins Überdimensionale vergrößerte
Bauklötzchen oder Kreiselfiguren. Phainomena, die mit den Augen zu sehen sind
gleichermaßen wie Noumena, die mit dem Geist erkannt werden können.
Spielmaterial für die von den Ketten der Konvention befreite Phantasie.
Die zweite große Arbeit in der Ausstellung „Subliminal“ ist noch ergebnisoffener
was Interpretationen betrifft, die ihr eine Deutung aufzudrängen versuchen.
„o.T.“ diesmal, ohne Titel also. Eine unregelmäßige geometrische Rundform, die
sich nach oben hin verjüngt und eine zweite kleinere Leerstelle gebiert. Davor
ein Haufen schwarzer Elemente, die aussehen wie achtlos ausgestreute
Puzzleteile. Man darf an ein überdimensionales Maul denken, das in
begriffslosem Entsetzen seine Zähne ausgespuckt hat. Oder an Gesichter, die
abgelegt worden sind und eine Negativ-Form zurückgelassen haben: Schwarze
Löcher, Antimaterie, die Stabilität des Instabilen. Oder auch umgekehrt.
Die großen skulpturalen Gestaltwerdungen in der Ausstellung werden
gespiegelt durch einige kleinere Arbeiten, die Motive aufnehmen und im Rahmen
ihrer jeweils gewählten künstlerischen Darstellungsform variieren. Die einzige
Photographie zeigt zwei Bäume, die mit Stoff umwickelt wurden, um sie vor
anlegenden Booten zu schützen. Standbein und Spielbein, verrutschte
Ballettstrümpfe, ein imaginärer/ imaginierter Körper, der im Begriff ist, seine
Position der Stabilität zu verlassen, um sich der tänzerischen Verwirbelung
hinzugeben. If you say run, I run with you. Let`s dance. „o.T. 2014“ gehört, so
wie alle Photographien von Julie Hayward zum Komplex der auf ausgedehnten
Spaziergängen „vorgefundenenInstallationen und Objekte“, die erst durchden Akt der Dokumentation als solche definiert werden. Die
Zeichnung „o.T. 2013“ hingegen, die als eine Art Präludium der Ausstellung
fungiert, nimmt, gefiltert durch die Sensibilität und die gestalterische
Idiosynkrasie der Künstlerin das binäre Prinzip von „Let`s dance“ vorweg und
prägt ihm eine andere ontologische Signatur auf: Zwei offene Boxen, die nur
durch ihre Umrißlinien definiert werden und paradoxerweise trotzdem einen dunklen
Schatten werfen, werden durch ein textilförmiges Material miteinander
verbunden. Eine lose Verknüpfung von geometrischen Körpern, die für die
rationale Organisation von zeitgenössischen Lebenswirklichkeiten stehen, im
Gegensatz zur unerbittlichen Umklammerung jener sowohl formal wie inhaltlich
weniger klar stratifizierten Objekte, die in „Let´s dance“ Tanzschwindel und
Drehekstasen evozieren.
„Tanz, Trunkenheit, toxische Exzesse, Selbstverstümmelungen usw. sind
von außen nach innen angesetzte Handlungsreihen,“ schreibt Arnold Gehlen, „und
die in ihnen gewollte Übersteigerung und Hypertension der Affektivität und
Sensibilität erreicht höchste Grade, weil die aufgelösten Hemmungsenergien in
die Dynamik mit eingehen, so zu einer als beglückend empfundenen Befreiung und
Entlastung des Menschen von sich führend.“
EinigeSkulpturen von Julie
Hayward, die wie schockgefrorene Manifestationen solcher kinetischer
Verheissungen wirken, werden in der Filmarbeit„Suck“, die die Ausstellung abschließt, in jenen Seinsmodus
übersetzt, der ihnen als entelechetisches Prinzip eingeschrieben ist:
Zeichentricktechnik bringt die Objekte zum Laufen, die sich wie urweltliche
Ungeheuer im Raum bewegen und mit ihren Tentakeln festen Halt zu finden
versuchen. Let`s dance, for fear your grace should fall.
Die Ausstellung „Subliminal“ entwirft somit auf knappestmöglichem Raum
einen panoramatischen Blick auf die Kunst von Julie Hayward. Sie deutet den Weg
an, der von der Zeichnung zurDreidimensionalität führt, sie berauscht sich an den Paradoxien von
Stasis und Hypertension, die im stillgestellten Artefakt subliminal vibrieren.
Sie stellt Fragen nach Ähnlichkeit und Differenz, nach ontologischer Stabilität
und transzendentaler Obdachlosigkeit.
Subliminal bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Reize aktiviert werden,
die die Schwelle des Bewußtseins nicht überschreiten. Dass unter jener
Oberflächenschicht, die für den Blick und den tastenden Zugriff erreichbar
sind, andere, kryptischere Energien wirken. Die Künstlerin hat mehrfach beschrieben,
welcher Arbeitsprozess ihren Formerfindungen zugrundeliegt: Die Werke würden
aus der Zeichnung heraus entwickelt, wobei sie versuche, die kontrollierenden
Ich-Instanzen weitgehend auszuschalten und sich von der Hand führen zu lassen:
„Dies passiert immer auf einem A4 Format mit schwarzem Feinleiner der nicht
kratzt und dadurch ablenkt und eine gleich bleibende Linienstärke hat. Das
Format bietet einen Halt in diesem schwebendem Zustand.“
Ein archäologischer Prozess, der Formen freilegt, die in einexistentielles Paradigma eingeschlossen
seien, das zuvor weder direkt noch indirekt anzusteuern war. Obwohl Hayward
betont, dass diese Konfigurationen auch als Traumgesichte nicht zu entziffern
seien, scheint doch eine Art „infinit-dimensionale Traumlogik“ im Sinne Hermann
Brochs am Werk zu sein, die diese skulpturalen Ausgrabungen zwischen
Gegenständlichkeit und Abstraktion, zwischen Mimesis und Formverlust, zwischen
geometrischer Organisation und Distorsion hervorzutreiben imstande ist: Durch
das Kunstwerk sei dem Menschen eine Annäherungsmöglichkeit an die ihm zutiefst
innewohnende Logik gegeben, hat Broch geschrieben: Formen und Farben, Bilder
und Strukturen würden aufeinander wirken, sich gegenseitig erhellen und
ergänzen. Dies sei die einzige Art, um aufzeigen zu können, „wie die höchsten
geistigen Ziele des Menschen unmittelbar mit seinem kaum erahnbaren Wesensgrund
verknüpft sind und sich aus diesen rein triebhaften Wurzeln in direktem
Wachstum entwickeln können.“
Mag es diese Traumlogik sein, die am Wesensgrund von Julie Haywards
künstlerischer Energie wirkt, mag es sich um eine individuell appropriierte
Variation des automatischen Schreibens der Surrealisten handeln, eine Art
Dessin automatique: Wesentlich ist, das am existentiellen Nicht-Ort zwischen
Erinnerung und Vergessen eine sehr subjektive formale Eigenart hervortritt, die
doch Verbindlichkeit und Anschlussfähigkeit beanspruchen darf und zwischen
Wesen und Erscheinung vermittelt.„Wir können die Welt nur so wahrnehmen, wie sie uns erscheint.“ schreibt
Christoph Türcke in „Philosophie des Traums“.„Aber Erscheinungen sind immer bloß eine Außenseite:
Erscheinungen von etwas, was selbst nicht erscheint. Dies in den Erscheinungen
Verborgene, das sich nur „spekulativ“, will sagen denkend, nicht durch die
Sinne, erfassen läßt, heißt in der Philosophie dann „Wesen“, „Substanz“ oder
„An sich“.“ In Julie Haywards Kunst glaubt man zumindest den Anhauch dieses ´An
sich` zu spüren, einen Schmetterlingsflügelschlag der ´Substanz` zu erleben.
Put on your red shoes. Let`s dance!
Thomas Mießgang