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Glorybox

DANIEL LEIDENFROST

DANIEL LEIDENFROST

Glorybox

Ausstellungseröffnung am Donnerstag, den 11.02.2016, 19-22 Uhr
Ausstellungsdauer: 12.02.-05.03.2016

Öffnungszeiten: Di-Fr 14-19 Uhr, Sa 11-15 Uhr

Eröffnung: Dr. Thomas Miessgang

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(Eröffnungsrede)

Ich muss zugeben, als ich den Titel der Ausstellung zum ersten Mal hörte, „Glorybox“, da ging mir noch ein anderes, ähnlich klingendes Wort durch den Kopf. Doch der Künstler hat mir glaubhaft versichert, dass es in dieser Ausstellung nicht um X-rated Content geht, nicht um pornographische Abgründe, die sich unteroder hinter diesen klinisch sauberen, gestylten Raumarchitekturen auftun, nicht um die Wiederkehr des Verdrängten. Nein, der Titel „Glorybox“ hat eine klar benennbare Provenienz: Er bezieht sich auf den gleichnamigen Song der britischen Trip Hop-Band Portishead, die vor zehn, fünfzehn Jahren Furore gemacht hat. In diesem Lied geht es um Menschen, um Gefühle, um die Ermattung nach einem Spiel, das einen zu langweilen beginnt. Einem Spiel der Verführung, der Täuschung, der illusionistischen Inauthentizität. Gonna give my heart away, Leave it to the other girls to play, singt Beth Gibbons, die Sängerin von Portishead aus weiblicher Perspektive. Um dann einen Mann zu adressieren: Just take a little look from the outside when you can. "Looking in from the outside" - Den Blick von außen nach innen richten. Das findet auch bei den Modellversuchsanordnungen von Daniel Leidenfrost statt. Man hat als Betrachter den Eindruck, Fotos von real existierenden Räumen zu sehen, dabei handelt es sich um Blicke ins Innere von Mikro-Architekturen, die im Prozess der fotografischen Dokumentation gewissermaßen neu kalibriert werden und eine andere Form von Materialdichte, von Transparenz, von Lumineszenzannehmen: man könnte auch sagen, in einen anderen Aggregatzustand wandern. Ausgangspunkt ist bei Daniel Leidenfrost immer eine Skizze, in der Form und Größe des variablen Environments grundsätzlich festgelegt wird. Daraufhin folgt der Bau des Modells, das sich, so hat es mir der Künstler erzählt, an den Puppenhäusern des 19. Jahrhunderts orientiert, die ja durch Einbauten, Raumteiler und ähnliches immer wieder neue Raumwirkungen ermöglichen. Dann erst beginnt der fotografische Dokumentationsprozess mit einer Mittelformatkamera, der die vorliegende Architektur wie eine vorläufige Gegebenheit interpretiert, die endlosen Remix-Prozessen unterzogen werden kann. Um noch einmal auf den Song „Glorybox“ von Portishead zurückzukommen: Von den großen Gefühlen, die da verhandelt werden -Give me a reason to love you, heisst es einmal – ist in der Ausstellung erst einmal nichts zu sehen. Doch man kann die durch unterschiedliche Lichtsituationen, Einbauten und Spiegeleffekte veränderten Räume, die letztlich bei aller unterschiedlichen Anmutung alle auf ein einziges Modell zurückzuführen sind, auch wie Theaterprospekte sehen. Wie Kulissen, in und vor denen die conditio humana als existentielles Drama genauso verhandelt werden könnte wie eine leidenschaftlich aufgeladene Kunst. Leerräume als Projektionsflächen für individuelle Sehnsüchte, die je nach der emotionalen Gestimmtheit eines Betrachters unterschiedlichste Formen und Gestalten hervorbringen. Dann würde auch diese Strophe aus „Glorybox“ Sinn ergeben: We're all looking at a different picture Move over and give us some room. Jeder von uns sieht ein anderes Bild oder besser: jeder von uns halluziniert ein anderes Bild in einen Raum, der auf geradezu provokante Weise die Abwesenheit thematisiert und damit zur Chiffre eines Mangelerlebens wird. Es geht also in der Ausstellung „Glorybox“, so wie überhaupt in der Kunst von Daniel Leidenfrost, um das Spiel von Gegenwart und Absenz, von Authentizitätssuggestionen und Simulakren, von variablen Größenverhältnissen und mikropolitischen Interventionen. Die Vorstellung, dass die Fotografie alles, was der Fall ist, dokumentiert und auf diese Weise ein akkurates Abbild einer wie auch immer verfaßten Wirklichkeit liefert, wird ad absurdum geführt und stattdessen eine Kontaktzone virtueller Spiegelkabinette geschaffen, die aber wiederum, bewusst old school, analog hergestellt werden und eine haptische Dimension beinhalten. Digital erstellte 3 D-Animationen, sagt Daniel Leidenfrost, seien nicht so sein Ding, weil sie eine glatte, bruchlose Perfektion erzeugen, die seiner Vorstellung von der Rückbindung der Kunst an das Leben in all seiner Unzulänglichkeit zuwiderlaufen würden. Wenn man aus einer gewissen Distanz auf die Fotos von Leidenfrost blickt, dann könnte schon der Eindruck entstehen, dass hier alle gestalterischen Elemente fugenlos ineinandergreifen. Doch bei genauerem Hinsehen erkennt man die scharfen Kanten etwa eines Spiegels, der ins Bild/ ins Modell gesetzt wurde, um eine Krümmung zu erzielen oder eine Verdoppelung oder anderweitige Raumvariation zu bewirken. Im Kern ist Kunst von Daniel Leidenfrost ein ästhetischer Verschiebebahnhof: Das künstlerische Material wird von Medium zu Medium transportiert und nimmt bei jedem Transfer andere Charakteristiken an. Die Vorstellung des Modells als auf`s Wesentliche reduzierte Spiegelung wirklicher Erfahrungsräume wird dabei einerseits referenziert,andererseits in Frage gestellt. Denn die dem Modell, wie Kant sagen würde, abgezweckten Raumsituationen evozieren ja eine Wirklichkeitsverbundenheit, die nie existiert hat. Einfacher gesagt: Die Fotos wirken wirklicher als das Modell je ausgesehen hat. Sie dokumentieren, und zwar ganz ohne digitale Tricksereien, etwas, das nie existiert hat und verwandeln es dadurch in einen Möglichkeits- und Sehnsuchtsraum. Und sie hebeln damit die Funktion der Fotografie als Medium der Abbildung von Weltwahrheit, der Dokumentation und der Archivierung aus. Hier geht es tatsächlich um die Welt als Wille und Vorstellung, um die wirklichkeitsschaffende Kraft des Mediums, das trügerische Realitäten herstellt, wo vorher nur Fiktionen waren. Damit ist die Ausstellung „Glorybox“ im Anschluss an frühere Präsentationen von Daniel Leidenfrost wie zum Beispiel „November“ eine kritische Befragung des Mediums Fotografie, das sich schon per se und per definitionem in einem konfliktivem Verhältnis zu dem, was vorhanden und zuhanden ist. In diesem Zusammenhang möchte ich gerne Roland Barthes zitieren: „Die bewusste Reaktion, die eine Photographie auslöst, erzeugt nicht das Bewusstsein des Daseins des Gegenstands, sondern des Dagewesenseins. Wir stoßen hier auf eine neue Kategorie des Raum-Zeit-Verhältnisses: räumliche Präsenz bei zeitlicher Vergangenheit, eine unlogische Verbindung des Hier und Jetzt mit dem Da und Damals.“ Bei Daniel Leidenfrost ist es noch ein wenig komplizierter: Die unlogische Beziehung des Hier und Jetzt mit dem Da und Damals bezieht sich nicht auf ein Dagewesensein, sondern auf ein Nichtdagewesensein und erzeugt mit ein Gefühl der Irritation und der ontologischen Destablisierung. Ich muss jedenfalls bei diesen Räumen, die, vor allem, wenn sie als Leuchtkästen präsentiert werden, immer an Twin Peaks von David Lynch denken oder an das Overlook Hotel in „The Shining“ von Stanley Kubrick. Oder an eine Passage, mit der der russische Religionsphilosoph Wassili Rosanow den Nihilismus zu beschreiben versucht. Zitat: „Die Vorstellung ist beendet. Das Publikum erhebt sich. Es ist Zeit den Mantel überzuziehen und nach Hause zu gehen. Die Besucher drehen sich um: Kein Mantel mehr und auch kein Zuhause.“   Thomas Miessgang

"Glorybox #2", 2016. C-Print/Dibond. 30 x 40 cm. Ed. 3 + 2 ap